Aus der Chronik von 1902 …

Der Name Jordan ist sehr verbreitet und kommt wohl in allen europäischen Ländern vor. In Deutschland haben wir die Jordan und Jordans, in England die Jordan, in Polen die Jordaner, in Frankreich die Jordan, Jourdan und Jourdain, in den Niederlanden die Jordaens, in Italien die Giordano, in Spanien die Jordäo. Sucht man nach einer Erklärung für diese Erscheinung, so wird man nicht zu der Annahme gelangen, dass alle diese Familien auf einen gemeinsamen Ursprung zurückzuführen wären, man wird sogar mit Sicherheit sagen können, dass dies nicht der Fall ist, dass vielmehr zahlreiche Familien, die mit einander nicht verwandt sind, von einander unabhängig den Namen Jordan als Familiennamen angenommen haben. Im frühen Mittelalter trug bekanntlich in der Regel jeder nur einen Namen, der ihm bei der Taufe beigelegt wurde, und den wir nach heutigen Begriffen als Vornamen bezeichnen würden. Mit dem Anwachsen der Wohnplätze und mit der allmählichen Verbesserung der Verkehrsverhältnisse entstanden aus dem Bedürfnisse, die verschiedenen Träger eines und desselben Taufnamens von einander zu unterscheiden, etwa seit dem Ende des 12. Jahrhunderts die Familiennamen. Zur Unterscheidung fügte man dem Taufnamen als nähere Bezeichnung entweder einen von der Herkunft, der Beschäftigung oder irgend welchen Eigenschaften des Trägers hergeleiteten Zunamen bei, oder man übertrug den Taufnamen des Familienhauptes auf die ganze Familie und behielt ihn dann auch für die späteren Generationen bei. So entstand eine grosse Zahl von Familiennamen aus ursprünglichen Tauf- oder Vornamen, und das trifft auch für den Familiennamen Jordan zu.

Unser Name war ursprünglich ein Vorname. Das erklärt zugleich seine Verbreitung. Der Name Jordan ist freilich heute als Vorname sehr selten, er war es aber in früheren Jahrhunderten keineswegs. Dafür Hessen sich zahlreiche Beispiele anführen; wir wollen hier nur den bekannten Philosophen von Nola Giordano Bruno erwähnen, der im Jahre 1600 zu Rom als Ketzer den Feuertod erlitt.

Fragen wir nun weiter nach dem Ursprung und der Bedeutung des Namens Jordan, so weist alles hin auf den heiligen Fluss. Es lag ja ungemein nahe, dass der Name, der in der Bibel eine so grosse Rolle spielt und der durch die Taufe Christi gewissermassen das Symbol der Christenheit geworden war, mit dem Vordringen der christlichen Religion in allen Ländern des Abendlandes als Taufname Eingang fand. So finden wir denn schon in alter Zeit bekannte Träger des Namens. Wenn wir von dem Geschichtsschreiber der Gothen Jordanis, der dem 6. Jahrhundert angehört — nach anderer Lesart hies er Jornandes — absehen, so haben wir in Deutschland im 13. Jahrhundert den Mathematiker Jordanus Nemorarius, der wahrscheinlich identisch ist mit dem Dominikaner-General Jordanus Saxo, ferner einen Cisterziensermönch Jordan, der das Kloster Walkenried erbaute, im 14. Jahrhundert den Augustiner-Eremit Jordan von Quedlinburg. Aber schon zu einer viel früheren Zeit begegnet uns der Name in der Geschichte, nämlich im Zeitalter der Kreuzzüge.

Als damals gegen den Ausgang des 11. und im 12. Jahrhundert aus ganz Mittel-Europa die Schaaren der Krieger zum heiligen Grabe strömten, da brachten sie häufig als heiliges Andenken Jordanwasser mit nach Hause, ja, da sie vielfach mit ihren Frauen dorthin zogen, Hessen sie ihre Söhne im Jordan taufen. So erhielt den Namen des heiligen Flusses der im Jahre 1103 in Palästina geborene Alphons Jordan, ein Sohn Raimunds IV., Grafen von Toulouse, eines der Führer des ersten Kreuzzuges.

Wir finden in jener Zeit gerade im südlichen Frankreich den Namen Jordan ungemein häufig, namentlich auch in den Gebieten der Grafen von Toulouse und ihrer Anhänger. In jenen Landschaften des Languedoc war damals die Lehre der Albigenser verbreitet und beherrschte die tonangebenden Kreise, bis sie durch die zu Ende des 12. Jahrhunderts beginnenden und fast ein halbes Jahrhundert lang andauernden blutigen Verfolgungen und Kriege gleichzeitig mit der Macht der Grafen von Toulouse vernichtet wurden. Wir sehen in der Geschichte der Albigenser eine Rolle spielen die mit den Grafen von Toulouse und den Grafen von Foix verwandte Familie Jordan de l’Ile Vicomtes von Gimoez. Das Stammlehen dieser Familie ist der noch heute ihren Namen tragende, westlich von Toulouse gelegene Ort l’Ile-Jourdain*). Ferner werden erwähnt der Baumeister und Vertheidiger der Feste Montségur Jordan du Villar, der Troubadour Raimund Jordan, Vicomte von Saint-Antonin, der albigensische Patriarch Jordan de Lantar, sein gleichnamiger Sohn, ein Bischof der Albigenser und sein Enkel Jordan von Perelha.

Die endgültige Niederwerfung der Albigenser erfolgte im Jahre 1229. Bald darauf wurde in Toulouse ein Inquisitionstribunal eingesetzt, welches die vollständige Ausrottung der Ketzerei zur Aufgabe hatte. Es fand damals eine starke Auswanderung der Albigenser statt, und viele von ihnen flüchteten sich in die, die Grenze gegen Dauphine und Provence bildenden Alpen Piemonts, wo sie sich mit den glaubensverwandten Waldensern vermischten. Es kann als wahrscheinlich bezeichnet werden, dass durch diese Auswanderung der Name Jordan von den Albigensern zu den Waldensern verpflanzt wurde. Da indess durch die fortwährenden Verfolgungen, denen die Waldenser schon vor der Reformation und später ausgesetzt waren, die meisten Urkunden verloren gegangen sind, so wird es wohl niemals möglich sein, einen Nachweis dafür zu erbringen, dass bestimmte waldensische von bestimmten albigensischen Jordans abstammen. Der Name kommt übrigens auch in der Diminutivform „Jordanet“ sowohl bei den Albigensern als bei den Waldensern nicht selten vor.